Im Zusammenhang mit der Haltung von Tieren hört man ja immer wieder das Wort “artgerecht”. Bei anderen Haustieren gibt es oft recht klare Definitionen: Pferde sollen z. B. in der Gruppe (mindestens zu zweit) gehalten werden. Auch Rinder sollten am besten auf einer Weide und ebenfalls in einer Gruppe stehen. Hühner brauchen in Freilandhaltung viele Unterschlupfmöglichkeiten, um sich vor Raubvögeln zu schützen.
Und bei den Wildtieren geht der Konsens (endlich) immer mehr in eine Richtung: “Artgerecht” ist nur die Freiheit.
Aber wie ist das bei unseren Hunden? In der Marketing-Welt rund um den Hund taucht dieses Wort immer wieder auf: “Artgerechtes” Hundefutter”, “Artgerechte” Beschäftigung, “Artgerechtes” Spielzeug, “Artgerechte” Erziehung.
Tatsächlich hieß meine erste Hundeschule auch F.A.I.R. for dogs, wobei das A für “Artgerecht” stand.
Doch kann dieses Wort überhaupt auf unsere Hunde angewendet werden? Ich glaube tatsächlich nicht. Denn der Hund ist das vielfältigste Haustier, welches in Erscheinung, Wesen und Verhalten die größte Varianz zeigt. Schaut man sich einen Chihuahua und eine Dogge an, würde niemand auf die Idee kommen, dass beide genau den gleichen Platz-Bedarf haben. Vergleicht man eine Französische Bulldogge und einen Husky, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass deren Bewegungsbedürfnis grundverschieden ist. Auch die Ansprüche an die Kompetenz des Halters sind von Hund zu Hund völlig verschieden.
Jetzt könnte man hergehen und den Hund mit dem Wolf vergleichen (findet auch so durchaus statt, weiß ich ;-)). Doch auch der Wolf ist in dieser ganzen Riege eben nur ein Vertreter seiner selbst und eben nicht aller Hunde. Während Wölfe mit Menschen im Allgemeinen nicht viel anfangen können und für sie ihre Artgenossen (ihr Rudel) existenziell wichtig sind, hat sich der Hund zu einem Lebewesen entwickelt, für den der Mensch eine zentrale Rolle spielt. Ob nun als Sozialpartner, wie für die meisten deutschen Hunde oder als reiner Futterlieferant, wie für viele Straßenhunde, der Hund hat eine Beziehung und eine gewisse Abhängigkeit zum Menschen. Für die meisten in Familien lebenden Hunde ist der Mensch sogar wichtiger als Artgenossen! Vergleiche in Sachen Bedürfnisse aber auch in Sachen Erziehung sollte man daher wohlüberlegt anstellen und durchaus hinterfragen.
Es lässt sich also überhaupt nicht sagen, was für “den Hund” artgerecht ist. Jede Hunderasse und jeder Mix hat seine eigenen Ansprüche.
Ein Futter, was in jeden Hundemagen passt? Gibts nicht.
Eine Beschäftigung, die jeden Hund glücklich macht? Gibts nicht.
Eine Schritte-Zahl, die jeden Hund gut auslastet und gesund erhält? Gibts nicht.
Eine Erziehungsmethode, die jeden Hund zum wohlerzogenen Begleiter macht? Gibts nicht.
Es gilt, von Hund zu Hund abzuwägen, was ihm denn GERECHT wird.
Von mir aus könnte das Wort “artgerecht” also gut und gerne aus der Hundeszene verschwinden. Zumindest aber wünsche ich mir, dass ihr lieben Leser und Leserinnen zukünftig einmal innehaltet und hinterfragt, wenn euch dieses Wort mal wieder über den Weg läuft.
In diesem Sinne… habt eine gute Zeit!
Mandy
